Ein monochromes Bühnenbild in sattem Petrolgrün springt mir stechend ins Auge. Vor mir entfaltet sich das Wohnzimmer der Schwestern Martha und Abby Brewster: Ein Sofa, das die Raummitte beschreibt und im Verlaufe des Stückes zum komödiantischen Zentrum wird. Umringt von einem Tisch, zwei Sesseln, Pflanzen, einer Kellertür, einem Kabeltelefon. Ich sehe eine imposante Wendeltreppe, die die Bühne zu einem echten Haus werden lässt. Die Inszenierung befindet sich in dem Blueprint eines US-amerikanischen Hauses in den Suburbs – nun ja, bis auf die menschengroße Gefriertruhe (?) an der einen und die Flasche giftbesetzten Holunderweins an der anderen Wand. Clever. Das monochrome Bühnenbild, das zu Beginn erschlagend wirkte, ergibt nun noch mehr Sinn: Das Wohnzimmer ist normal und einfältig. Zu einfältig! Noch cleverer, denke ich. Auch die Charaktere bleiben von dieser Einfarbigkeit nicht unberührt. Monochrome Kostüme in Orange, Rosa oder Blau, die sich auffällig von dem Grün der Bühne abheben. Für jede Person eine andere Farbe – bis auf die Brewster-Schwester: diese scheinen sich einen einheitlichen Kleiderschrank zu teilen und verschmelzen somit nicht nur in ihrem Auftreten zu einer verbündeten Einheit. Der Stil der Kleider erinnert stark an die 1960er oder -70er Jahre. Stefan Hageneier erreicht mit diesem Bühnenbild und den Kostümen den perfekten Uncanny-Valley-Charakter, der zur bizarren Geschichte der Familie Brewster nicht besser passen könnte.
Die Geschichte von Joseph Kesselring (uraufgeführt 1941) entfaltet sich in einem charmanten Haus in Brooklyn. Dort leben die scheinbar harmlosen Schwestern Abby und Martha Brewster, bravourös gespielt von Anne Cathrin Buhtz und Bettina Schmidt. Hinter ihrer Fassade der Güte verbergen sich jedoch mörderische Geheimnisse. Ihr geliebter Neffe Teddy, der sich für Präsident Roosevelt hält und im Keller den Panama-Kanal gräbt, ahnt dabei nichts von den unvorstellbaren Machenschaften seiner Tanten. Christoph Müller spielt die Rolle des verwirrten Teddy, die ihm so einiges an körperlicher Ausdauer abverlangt – chapeau. Auch die Rolle des Mortimer, dargestellt von Niklas Wetzel, fordert Unmengen an Aktivität, denn als der eigentlich so unbeschwerte und ruhige Neffe zufällig eine Leiche entdeckt, gerät sein Leben aus den Fugen und mündet in panischer Erregung. Der Einsatz von Slapstick-Humor findet in diesem Charakter seinen Höhepunkt. Hier und da war mir die vermittelte Hektik jedoch zu viel, was ein bisschen an der Qualität des Spiels gekratzt hat. Inmitten dieses Chaos muss Mortimer nicht nur mit der schockierenden Wahrheit umgehen, sondern auch sein Liebesleben mit der reizenden Elaine, Vanessa Czapla, in Einklang bringen. Czaplas Spiel und ihre graziösen Bewegungen bringen die benötigte Ruhe in das Schauspiel-Duo – sie bildet somit einen angenehmen Gegenpol zur Körpersprache ihres Verlobten.
Die Situation eskaliert mit der Ankunft des dritten Neffen Jonathan, einem gesuchten Serienmörder, der mit seinem Komplizen Dr. Einstein unerwünscht ins Haus der Brewsters platzt und nun noch mehr Unruhe stiftet. Julius Forster hat das Gefühl des empörten und exzentrischen Sorgenkinds der Familie meisterhaft vermittelt. Forster hat mit seiner Performance den meisten Eindruck bei mir hinterlassen. Ich denke gerne an seine katzengleiche Geschmeidigkeit zurück und an seine gaunerhaften Bewegungen, die gleichzeitig absurd und bedrohlich wirkten – ein perfektes Spiel zwischen Spannung und Komik. Dr. Einsteins Charakter sorgte bei mir jedoch für ein bisschen Verwirrung. Vor allem Maske und Kostüm haben sich in meinen Augen zu sehr vom Rest der Inszenierung abgegrenzt – ich steige nicht ganz dahinter, wieso der elegante Stil der 1960er, 1970er Jahre bei ihm anscheinend ausgelassen wurde. Allerdings ist das nicht weiter relevant für das Gesamtstück: denn in seiner Darstellung von Dr. Einstein, erfüllt Andreas Keller nichtsdestotrotz die Funktion als Nebencharakter. Mit der Ankunft dieser beiden Verbrecher sieht sich Mortimer nun gezwungen, seine Verwandten vor den laufenden Ermittlungen zu schützen – was sich als alles andere als leicht erweist, wenn die Polizei – dargestellt von Tilo Krügel, Denis Grafe und Denis Petković, regelmäßig zu Besuch kommt.
Tina Lanik hat mit ihrer Debut-Inszenierung am Schauspiel Leipzig von „Arsen und Spitzenhäubchen“ eine absurde Dynamik auf die Bühne gebracht und dem über 80 Jahre alten Stück einen zeitlosen Charakter verliehen. Zweieinhalb Stunden, viele Lacher und Stirnrunzler später, sitze ich geschafft auf meinem Platz und bin froh, in die verrückte Welt der Brewsters eingetaucht zu sein. Ich bleibe zurück mit vielen Eindrücken, die verarbeitet und unangenehmen Fragen, die gestellt werden müssen. Fragen nach gesellschaftlichen Normen und individueller Ethik. Aber genau das macht den besonderen Reiz eines schwarzhumorigen Theaterstückes aus, oder nicht?
Paula ist Teilnehmer*in des SCENEN::NOTIZ Kollektivs in der Spielzeit 2024/25.
SCENEN::NOTIZ ist ein Projekt des Schauspiel Leipzig in Kooperation mit der Jugendpresse Sachsen e.V..
Es richtet sich an alle theaterinteressierten Menschen, die ihre Gedanken zu den Inszenierungen in Form von Kritiken und Rezensionen festhalten möchten. Im Anschluss an einen kostenfreien Theaterbesuch tauschen sich die Teilnehmer*innen über das Gesehene, sowie die dazu entstanden Texte, gemeinsam mit dem Team der Theaterpädagogik und einer Vertreter*in der Jugendpresse aus. Die fertigen Texte werden dann hier auf dem hauseigenen Blog veröffentlicht!
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