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Es fehlt nichts. Nur Hülle und Fülle

Als ich das Programm der ClubFusion 2022 vor einigen Tagen zum ersten Mal durchgeschaut habe, um Vorstellungen, über die ich schreiben wollte, daraus auszuwählen, ist mein Blick gleich am Titel dieses Stücks hängen geblieben. Schien er doch ein Gefühl über unsere heutige Zeit zu beschreiben, dass vermutlich die meisten von uns teilen und dass dennoch viel zu selten in der Öffentlichkeit geäußert, geschweige denn angemessen besprochen wird.

 

Diese Produktion, auf die Bühne gebracht vom Jugendtheaterclub der Musikalischen Komödie, angeleitet von Christina Geißler (Gesamtkonzept und Inszenierung), hat aber genau dies getan. In einer niemals langweiligen, durchweg unterhaltsamen Vorführung wurde prägnant und mit viel ironischem Witz die aktuelle „Leitkultur“ der Selbstoptimierung im Namen der Selbsthilfe auf die Schippe genommen und die Rolle junger Menschen in einer von Klimakrise, Corona-Pandemie und Russland-Ukraine-Krieg gebeutelten Welt hinterfragt. „Die Zeit, in der Corona nicht mehr im Mittelpunkt steht, hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.“, meint Kawenski (Fabian Menzel) und spricht damit etwas aus, was sicherlich viele, nicht nur unserer Generation, sich in den vergangenen Monaten gedacht haben. „Schade um unsere geile Zukunft!“, prangt es als Bühnenüberschrift über den Köpfen der Darstellerinnen und Darsteller in der 3. Szene (oder Lektion); der Inhalt des Stücks ist passend zum Thema als Workshop, samt Workshop-Guru (Jojo Walzebuck), mit unterschiedlichen Selbsthilfe-Lektionen angelegt. Doch der Schein der vermeintlich geleisteten Selbsthilfe wird schnell von den Darstellerinnen und Darstellern durchbrochen, wenn sie eine leere Phrase nach der anderen aus dem Repertoire der Wohlfühl-Industrie mit überbetont falschem Pathos aufsagen. So hangeln sich die Figuren abwechselnd zwischen pointiert eingesetzten und mit viel Selbstsicherheit vorgetragenen Songs (Under Pressure, Fuck You, The Winner Takes it All, Back to Black) und ironischen, manchmal sogar albernen Selbstreflexionen – immer wieder auf Kurs gebracht durch die Workshop-Leiterin von Gnaden, Anika – an den Leitplanken des Selbsthilfetrainings entlang. Und erscheinen am Ende, wenn sie sichtlich los (oder auf)gelöst? Ein zweites und letztes Mal Under Pressure anstimmen, doch genauso hilflos, zerrüttet und verloren wie am Anfang dieser dem Namen des Hauses völlig gerecht werdenden musikalischen Komödie.

 

Wer junge talentierte Darstellerinnen und Darsteller dabei erleben wollte, wie sie mit viel Selbstwitz und Ironie nach ihrer Rolle in der heutigen Welt fragen und dies trotz aller Schwere der Themen, durch Musik und Komik, mit Leichtigkeit tun, der war gut beraten, gestern Abend einen Platz in der musikalischen Komödie gehabt zu haben.

 

Das detaillierte Festival-Programm und weitere Infos sind hier zu finden: www.clubfusion.de


Tom ist erst spät auf den Geschmack von Theater und darstellendem Spiel gekommen. Jetzt versucht er so viele Vorstellungen wie möglich in kürzester Zeit anzuschauen, um für die verlorene Zeit aufzukommen.