· 

The shape of compost to bum - Ein naives Get Together

Was wäre, wenn Kunst jenseits der Kommunikation existierte? Was wäre, wenn wir Pflanzen verstünden? Wie könnte eine Welt aussehen, in der es mehr um Ähnlichkeit und Vereinigung als um Differenz und Krieg geht? Am 20.01.2022 konnten Zuschauende online The Shape of Trouble to Come - ein posthumanes Ritual des FARN. collective im Schauspiel Leipzig streamen. Tom Schneider sorgte dabei dafür, dass die Komfortzone der Einzelnen trotz unangenehmer Themen tendenziell nicht verlassen werden musste.

 

Zu Beginn sitzt Sandra Hüller auf der rechten Seite der Bühne und lauscht einem alten Radio. Sie fällt dabei immer wieder in sich zusammen. Choreografisch bindet sich die Abfolge ihrer Bewegungen in das Gesamtwerk ein, was sich aus Leuchtreklame, klassischer Klaviermusik und den Geräuschen der Pflanzen, die Christoph Müller auf der linken Seite der Bühne durch einen elektrischen Schaltkreis zum Sprechen bringt, zusammensetzt. Verbunden sind die beiden Szenarien durch einen Weg aus Schutt, Erde und Schrott.

       
Sandra Hüller hält wenig später einen Monolog über das, was unsere Welt regiert: Schwerter, Stöcke, Speere, lange, harte Dinge, mit denen gestochen, gehauen und getötet wird. Unsere Kultur sei von den Menschen gemacht worden, die solche langen, harten Dinge haben, um mit ihnen stechen und töten zu können. Dabei stellt sie die durchaus berechtigten Fragen in den Raum, warum lange harte Dinger als spannender und wichtiger propagiert werden als das nützliche Ding, in das man andere Dinge reintun kann? Warum wird nicht viel mehr über das Behältnis gesprochen, welches zudem auch schon eher da war? Wieso liegt der Fokus in der Kultur und im Erzählen von Geschichten meistens auf langen, harten Dingen?        
Und wieso wird nach der Repräsentation der Problematik nichts darangesetzt, eine Gegenerzählung vielleicht sogar jenseits der Dichotomie männlich/ weiblich zu präsentieren?


Die Frage nach dem patriarchalen Blick auf die Welt gleich am Anfang zu stellen, ist ein essenzieller Schritt in einem Stück, indem es um Zukunftsfantasien und Gegenwartsbewältigungen gehen soll. Doch die Botschaft, die hier mitklingt, eine Sensibilität für ein diversitätsbewusstes Theater zu haben und an dessen Umstrukturierung beteiligt zu sein, löst sich spätestens dann auf, wenn drei weitere Personen auf der Bühne performen und alle männlich Gelesene sind. Auch wird der Konflikt der männlich dominierten Welt nicht weiter aufgenommen. Er bleibt fade im Raum stehen.

Doch wie könnten sie nun also aussehen, die Zukünfte unserer Gesellschaft? Marslandschaft-ähnlich, wie die Bühne sich gestaltet? Müssen alte Instrumente und Kulturgüter auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden? Blinkende Gerätschaften dürfen auf jeden Fall nicht fehlen. Alte Technik wird zweckentfremdet. Vorrangig kaltes Licht und Nebel tragen zu einer Science-Fiction Stimmung bei.

 

Die Imagination der Zuschauenden wird angeregt durch eine nicht allzu ferne Fantasie: Kompostist:innen, die verbunden und im Einklang mit ihrer Umwelt leben, schaffen Symbiont:innen, die im wahrsten Sinne des Wortes im Einklang mit anderen Tieren oder Insekten leben und diese in sich vereinen. Dabei wird auf vielen Ebenen an das gemeinsame Wachsen appelliert. Das Sein ist irrelevanter als das gemeinsame Werden! Es geht um das Sich-verwandt-Machen mit dem vermeintlich Anderen. Was ist schon Mensch und was Nicht-Mensch? Wie können wir unserem eigenen Beschränkt-Sein entkommen? Die Antwort scheint: Gemeinsam werden – eine Symbiose eingehen. Es wird ein Versuch gestartet, neue, unbekannte Geschichten zu erzählen. Das Narrativ wird als Formung unseres Zusammenlebens erkannt. Es sind Erzählungen, die die Menschen dazu verleiten, Dinge zu legitimieren. Sie tragen die Gefahr in sich, nur eine Sicht zu beinhalten und dadurch Schwerter wichtiger zu nehmen als Behältnisse. Sie können aber auch gemeinsame Momente erzeugen durch die Bilder und Gefühle, die sie hervorrufen und somit Gemeinschaft formen.            
Eines dieser Bilder ist der Moment, in dem Christoph Müller allein auf der Bühne sitzt und leise und zaghaft vor sich hin singt. „I want to know what love is“ - ein Song von Foreigner, den die meisten kennen dürften. Es ist ein Augenblick, der unter die Haut fährt und durch Christoph Müllers starke schauspielerische Leistung getragen wird. Ein Gefühl der Einsamkeit macht sich im Publikumsraum breit. Einsam SEIN.

  
Oder zusammen WERDEN? - Eine gekonnte Störung löst die Szenerie auf: Eine Band in fabelhaften Kostümen kommt auf der Bühne zusammen, vom Publikum getrennt durch eine vierte Wand aus Gaze. Das Publikum schaut in eine entfernte …Galaxie(?). We make to much history!
Und wieder eine Unterbrechung. Das Publikum wird abgeholt, die vierte Wand verschwindet. Die Schauspielenden mimen sich selbst und sprechen ihren Text, als wäre es ein spontanes Gespräch, ohne Rollen, ganz „authentisch“. Es folgt eine klare Positionierung und Reflexion der Thematik und des Umgangs damit. Privilegien werden reflektiert, wieder ein gelungener Einbezug der Gegenwart. Und dann werden erneut Geschichten erzählt.


Alles in allem ist es ein Abend, der anregt, aber doch sehr sanft bleibt. Die Sounderzeugung direkt auf der Bühne ist clever. Experimentelle Musik und Dissonanzen weisen das gängige Hörerlebnis der durchschnittlichen Musik-Konsumierenden in eine neue Richtung und hinterlassen gegebenenfalls ein neues Verständnis für Klang.

Jedes Puzzleteil des Stückes bleibt im Bereich des Experimentellen Offenen und erhält somit auch den Science-Fiction-Charakter. Diese Vermischung von Wissenschaft und Imagination erhält die Spannung, führt aber auch zur Entspannung. Das Bühnenbild bleibt lange im Kopf. Spielereien mit der Livekamera, Videoprojektionen und der sichtbare Kostümwechsel hinter der Bühne sind klug eingebunden. Auch der Umgang mit dem Material auf der Bühne ist bis zum Ende durchdacht. Immer weiter wird es von den Agierenden verformt und neu gestaltet  der Wandel ist für die Zuschauenden sichtbar.

 

Vielleicht soll die Thematik der scheiternden Menschheit nicht zu vorwurfsvoll gegen uns selbst gerichtet sein, damit möglichst viele im Publikum sitzende mitgenommen, anstatt mit Abwehrmechanismen allein gelassen zu werden. Ein eher sanftes Rütteln ist strategisch nachvollziehbar, wenn eine Zusammenkunft erzielt wird. Doch birgt es die Gefahr der Überforderung derjenigen, die noch sehr mit ihrem Sein beschäftigt sind. Können sie sich auf die Offenheit des Stückes einlassen und all die kurz angestochenen Komplexe mitdenken? Oder braucht es mehr Hintergrundinformationen? Andererseits könnte den Adressierten vielleicht sogar mehr zugemutet werden. Der Appell des Stückes scheint zu sein: „Lasst uns zusammen werden, lasst uns Geschichten neu erzählen und zuhören!“. Doch braucht es nicht mehr Radikalität zur Veränderung?


Es liegt am Ende selbstverständlich an den einzelnen Zuschauenden, welche Botschaft sie sich für ihre Zukunft mitnehmen. Zu hoffen bleibt, dass sich einige inspirieren lassen und einen Schritt wagen, hin zum prozesshaften, gemeinsamen Werden. Doch sonderlich groß ist diese Hoffnung nicht.
„Wie anders lebt man, wissend, dass man Gift ist?“ – Wenn man Gift ist, will man dann anders leben?


Helena Kauschke träumt von einer diversitätsbewussten Gesellschaft, in der der Fokus auf einem Lernen innerhalb von Prozesshaftigkeit liegt und sieht dabei großes Potential im Theater.