· 

Rückkehr nach irgendwo

- Große Geschichten aus der Kleinstadt -

In der Uraufführung auf Abruf bebildert Enrico Lübbe den nie auserzählten Struggle mit der Herkunft vom Lande: Der Theaterfilm Widerstand zu Lukas Rietzschels Auftragswerk erfasst die Dramatik des Dorfes, die sozialen Dissonanzen der Generationen, das innere Unwohlsein mit der Gegenwart.


Hackepetermassage

Die Lebensbereiche, die die Kluft zwischen dörflichem, kleinstädtischen Sozialraum und dem vorgegebenen Maßstab der Großstadt weiten, scheinen unerschöpflich: Bei Kaffee- und Kucheneskapaden werden Werte – welche sind überhaupt noch von Bedeutung und wo? – Wertschöpfung, Kugelgrill (keine Ahnung, was einen Kugelgrill so besonders macht), Weggehen und Aushalten als Vorwurf verhandelt. Wie selbstverständlich fügt sich die nebenbei erwähnte, aber dadurch nicht weniger bedrohliche Anspielung auf den Waffenversand an den stellvertretenden Ministerpräsidenten aus Sachsen in die Handlung der Verunsicherten. Die Protagonist:innen arbeiten sich fortwährend in Gesprächen an einem Thema ab, kommen nicht weiter, eröffnen dadurch das nächste. Dann stehen all die unvollständigen Gedanken, die Perspektiven so im Raum, türmen sich auf und verstellen die mögliche Sicht auf ein Gegenüber, auf erreichbare Gesprächspartner:innen, an denen aber ohnehin schon die ganze Zeit vorbeigeredet wird: Das Grundrauschen einfacher Antworten, die Sprachlosigkeit, die verpassten Momente des Zuhörens kribbeln spürbar. Zumindest so lange, bis alles in sich zusammenfällt, nach innen eskaliert, aber auch bemerkbar für ein Außen. Zwei Griffe zur Waffe – einer zur Probe, und der zweite?

 

Einstürzende Neubauten

Der Film zeigt meist den dunklen Raum der Leipziger Spielstätte Diskothek mit einem hell ausgeleuchteten Bühnenzentrum, der nur durch selten eingestreute Autofahrszenen ein Außen suggeriert. Entgegen dem implizierten Starrsinn der Protagonist:innen rotiert das Drehpodium im Licht, das von hellen Vorhängen umzäunt und reduziert mit Bühnenbildern und übersichtlichen Requisiten ausgestattet ist. Zu sehen sind darauf beispielsweise Theaterscheinwerfer, die eher ungewollt als Kulisse fungieren. Allerdings auch funkelnde Details, wie das Paradox um die wohlplatzierte Marxspardose aus Porzellan oder die glänzende Peggy-Kette, laden unbedingt zum erneuten (Hin-)Schauen ein. Umgesetzt wird der Stoff in einer klar erkennbaren Maske unter markanten Perücken, die an Clownerie in schön abgestimmten Farben erinnert. Der beschriebene Look von Teresa Vergho im zumeist kühlen Licht suggeriert karikaturenhaft eine bewusste Überspitzung des Alltäglichen, schafft allerdings auch eine völlig unberechtigte Distanz, bisweilen sogar Erhabenheit in der Betrachtung (die Probleme sind doch wirklich da). Demgegenüber vermitteln alle Darsteller:innen mit durchgehend glaubhaftem Ernst die bestehende Distanz zwischen Land und Stadt. Selbst wenn die Zwiegespräche aneinander vorbeilaufen, vertreten die Sprecher:innen klar ihre verschiedenen Ansichten und Standpunkte, ihre Ängste und Narrative, die sie wie in Alltagssituationen eher vor sich hertragen, als zum Erschüttern bringen mögen. Die Dialoge enden zumeist in geladener Stille, bevor sie wiederholt von geisterhaften Chorrhythmen zur Heimat durchbrochen werden.

 

In die Gegenwart einbrechen

Die vereinnahmenden und tatsächlich kurzweiligen 60 Minuten  Widerstand verhandeln Pauschalurteile und Radikalisierung als Chronologie des Sozialen. Dieses durchgehend kühle, unangenehme Stimmungsbild wird ununterbrochen gehalten – unter anderem dadurch, dass die Auseinandersetzung mit den Themen etabliert einseitig wirkt und dadurch erst recht zum Diskurs im Anschluss anregt – der in Streamingzeiten mindestens so wertschätzt wie ein tosender Applaus im Theatersaal.


Claudia Helmert bemüht sich stets um den mood, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Dabei schadet es ja nicht, sich von allem Schönen berauschen zu lassen.