Das Saallicht wird gedimmt, die Menschen um uns herum rücken gespannt auf ihren Sitzen in Position, stellen ihre Gespräche ein und ich lege meine Augenbinde an. Das Audiogerät wird hochgedreht und schon höre ich Mailas Stimme, die mir berichtet, wie das Licht auf der Bühne angeht und die SchauspielerInnen den Bühnenraum einnehmen. Ich sehe nichts und das wird für die kommenden 75 Minuten auch so bleiben, wenn ich durchhalte.
Johannes und ich probieren die Audiodeskription zu „Der Gott des Gemetzels“ aus. Seit gut sechs Jahren bietet das Schauspiel Leipzig blinden und sehbehinderten Menschen die Möglichkeit neben einer ausführlichen Einführung und Bühnenbegehung, die visuellen Vorgänge während der Vorstellung mittels Kopfhörer zu erleben. Nach einem Gespräch mit den Personen, die Teil des inklusiven Audiodeskriptionsteams sind: Dramaturg Matthias Döpke und Theaterpädagogin Maila Giesder-Pempelforth, wollten wir wissen, wie eine Live-Audiodeskription abläuft und wie es ist, sich ausschließlich auf das Gehörte zu konzentrieren. Maila schreibt nicht nur an den Texten mit, sondern spricht ihn heute auch live für uns ein.
90 Minuten zuvor wurden wir willkommen geheißen und bekamen eine Einführung, die besonderen Wert auf das Visuelle legte. Mit uns nahmen noch etwa zehn weitere Personen mit Sehbeeinträchtigung sowie ein Blindenhund die Audiodeskription wahr.
„Ist das Kaki von Véronique Houillé (Figur der Inszenierung) jetzt eher so Omi-mäßig oder alternativ?“ fragt eine Teilnehmerin und unsere Gruppe schmunzelt.
Anschließend durften wir noch das Bühnenbild begehen, den eisernen Vorhang betasten und vom Gebäck kosten, welches die SpielerInnen später genießen werden.
Bei der Aufführung fällt es mir nur am Anfang schwer, dem Drang zu widerstehen die Augenbinde abzunehmen. Schon nach wenigen Minuten habe ich das Bild in meinem Kopf. Maila spricht in den Pausen, wenn die SpielerInnen keinen Text haben, sodass wir trotzdem alles mitbekommen. Manchmal ist es schwierig, den Moment abzupassen und so entfährt mir manchmal ein Lacher, noch bevor die SchauspielerInnen die Worte von Maila umgesetzt haben. Sie scheint mir fast wie die Seherin Kassandra, die uns durch das Stück begleitet und ab und zu die Zukunft vorhersagt.
Ich fühle mich etwas albern, als ich mich nach vorn lehne und meine Ellenbogen auf die Knie stütze, um meine Sitzposition zu verändern, obwohl sich meine Sicht nicht verändern wird. Am Ende ist es komisch die Binde wieder abzunehmen und aus dieser Welt wiederaufzutauchen, die sich zwischendurch wie mein eigenes ganz lebendiges Hörspiel angefühlt hat. Es ist das erste Mal, dass ich eine Inszenierung besucht, aber nicht „gesehen“ habe.
Für mich war es eine sehr spannende Erfahrung, denn Theater auf diese Weise zu erleben, konnte ich mir bis vor einigen Wochen noch nicht vorstellen. Auch die Gruppe freute sich über unser ehrliches Interesse und so waren Befürchtungen, beispielsweise respektlos zu wirken, wie weggeblasen. Wer selbst einmal eine Live-Audiodeskription erleben möchte, der sollte sich in eine der Vorstellungen des Hauses begeben.
Die Termine findet ihr unter: https://www.schauspiel-leipzig.de/service/audiodeskription/
Eine Schilderung von Johannes Preißler und Rosa Preiß
Rosa Preiß macht diese Spielzeit ihr FSJ-Kultur und schreibt davon auf diesem Blog. Die ursprüngliche Berlinerin hat gern den Überblick und ist somit die Tabellen- und Listenbeauftragte der Theaterpädagogik. In ihrer Freizeit lässt sie gern die Beine baumeln oder steht an der eckigen, familiären Crêpesplatte.
Johannes Ernst Richard Preißler ist die männliche Unterstützung im Theaterpädagogik Team für diese Spielzeit. Wenn er mal nicht zum
Kaffeeklatsch der SeniorInnen eingeladen ist, singt er von Rettungsschwimmern, Wutbürgern und Stalkern mitsamt seines Akkordeons.