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Machtfrage

Noch während man sich auf dem Platz einrichtet und die letzten Worte mit der Sitznachbarin wechselt, zuckt man zusammen. Vor dem Publikum hat sich ein Mann (Felix Axel Preißler) aufgebaut und brüllt „Ruhe“ durch den Saal. Es wirkt und das Publikum verstummt, überrascht von dem abrupten Anfang. Sein eleganter Aufzug mit Fliege und gezogenem Scheitel täuscht nicht über den Ausbruch misogyner Anfeindungen, den er den Zuschauenden entgegenschmettert, hinweg. Auf einmal wird sein Redeschwall von einer Frau (Bettina Schmidt) im schicken Abendkleid unterbrochen, die als empörte Zuschauerin aus der ersten Reihe auf die Bühne tritt und körperlich und verbal zurückschlägt. Der Shakespeare-Text wird von feministischen Worten Virginie Despentes‘ abgelöst. Schon befindet man sich mittendrin – im Kampf der Geschlechter. Doch dieser Streit bildet nur die Hinführung auf das Schauspiel, was sich einem noch bieten wird.

 

 

„Der Widerspenstigen Zähmung“ gilt nicht ohne Grund als problem play Shakespeares. Der reiche Baptista Minola hat zwei Töchter, von denen die eine sich vor Freiern kaum retten kann, während die andere wegen ihrer Streitsucht als unvermählbar gilt. Die schöne, sanfte Bianca darf erst geheiratet werden, wenn ihre ältere Schwester Katharina einen Mann gefunden hat. Petruchio hat es auf die große Mitgift abgesehen und nimmt dafür das Übel der Widerspenstigen in Kauf. Mit Schlafentzug, Hungern und Brutalität bricht Petruchio Katharina, so dass sie ihm am Ende der Geschichte in keiner Situation mehr widerspricht. Das Ganze wird verschachtelt mit diversen Verwechslungsspielen und Liebesverstrickungen, für deren Entwirrung auch Moritz Sostmann über zweieinhalb Stunden braucht. Er macht die Aufführung des strittigen Stückes durch die Spiegelung der geschlechtlichen Machtverhältnisse möglich. Die Zähmer werden zu Gezähmten, die Männerrollen zu Frauenfiguren und unsere heutigen Machtverhältnisse sollen sichtbar gemacht werden. Nun ist es die Geschäftsfrau Baptista, die ihre zwei schönen Söhne an die Frau bringen will.

 

 

Christian Beck hat das Schauspielhaus in ein antikes Theater verwandelt. Die Bühne mutet einem Amphitheater an, über dessen letzte Bänke man in die malerische Landschaft einer italienischen Meeresbucht schaut. Doch in diesem Theater dienen die Treppen nicht als Sitzplätze für das Publikum, sondern als Spielfläche für die Darsteller*innen. Wie auf einer italienischen Piazza, deren Stufen über die Bühnenkante bis in den Publikumssaal quellen, treffen hier Frau und Mann, Jung und Alt, Mensch und Puppe aufeinander. Die Balustrade, die sich hinter den aufsteigenden Stufen bildet, wird mal zum Beckenrand eines Pools, mal dient sie als Versteck für die vier Puppenspieler*innen.

 

 

Sechs Puppen wuseln über den Besetzungszettel, übernehmen die Rollen von Lucentias Dienerin und die ihrer Mutter, werden Baptista und zu Freierinnen Biancos. Warum genau diese Rollen von Puppen verkörpert werden, ergibt sich nicht. Doch ihre menschlichen Bewegungen, ihr Rauchen und Tanzen, die Witze über ihr Verhältnis mit den Puppenspieler*innen und über die Diskrepanz zwischen den Körpergrößen von Mensch und Puppe tragen sie zum komödiantischen Charakter der Inszenierung bei. Die ganze Aufführung ist gespickt mit Anspielungen, Alberei, anzüglichen Witzen und in diesem Fall einer Menge an Dernièrengags. Moritz Sostmann ist ein wunderbar-witziger Abend gelungen, der Spaß macht und viele Lacher bringt. Doch das Konzept der Umkehrung geht dabei nicht immer auf.

 

 

In den Momenten, in denen Bianco (Ron Helbig) einen Flakon nach dem anderen nimmt, um sich herzurichten, während Petruchia (Anne Cathrin Butz) nach einer durchzechten Nacht in den Spiegel schaut und im besten Kölsch einfach nur „Jeil“ sagt, funktioniert es in all seiner Komik und eröffnet genau den Blick auf die geschlechtlichen Verhältnisse, der durch die Spiegelung entstehen soll.

 

 

Auf der anderen Seite ist da Petruchia im rückenfreien Paillettenkleid, dessen hoher Schlitz mit ihren hohen Absatzstiefeln korrespondiert. Sie braucht Grumio als starken Mann fürs Grobe an ihrer Seite. Dazu Lucentia (Alina-Katharin Heipe), die Verehrerin Biancos, im Barbie-pinken Lackkleid und Highheels. Die Souveränität und Überlegenheit, die den Frauen an diesem Abend zugeschrieben werden sollen, wird relativiert, wenn sie auf wackeligen Absätzen, in drückenden Schuhe und engen, freizügigen Kleidchen die Treppen erklimmen. Da beneidet frau doch die Männer, die statt „Barbie“ dem Vorbild von James Dean entsprechen und mit weißen T-Shirts und lockeren, schwarzen Stoffhosen breitbeinig daneben fläzen.

 

Wenn sich Lucentia als sexy Lehrerin im knappen Minirock offensiv vor Bianco herunterbeugt, um die heruntergefallenen Bücher aufzuheben oder Petruchia, bei ihrem ersten Auftritt die Balustrade hüftschwingend zu einer Table-Dance-Bar werden lässt, entsteht die Frage, ob nicht genau das diese sexualisierte Objektivierung ist, die auf die Männer übertragen werden sollte.

 

 

Am Ende schließt sich der Rahmen. Der chauvinistische Monolog vom Anfang wird nun vor allen Beteiligten in veränderter Form von Katharino (Andreas Dyszewski) gesprochen. Dabei fällt auf: Das Wort „Boss“ lässt sich nicht gendern.

 

Eben jener Versuch eine anti-patriarchalische Wirklichkeit zu inszenieren, verdeutlicht in seinen Schwierigkeiten die patriarchale Prägung unserer Gesellschaft. Das fängt damit an, dass manche Wörter nur im Männlichen funktionieren, geht mit der Herausforderung der Kleidung weiter, bis hin zu den verinnerlichten Mustern der Spieler*innen. Immer wieder positionieren sich die männlichen Darsteller unbewusst höher auf den Treppen oder die Darstellerinnen schenken den Männern so viel Aufmerksamkeit, dass es zur Schmälerung ihrer dominanten, souveränen Position führt. Insofern zeigen vielleicht gerade die Momente, in denen die Umkehrung nicht funktioniert, das Problem.

 

Diese Rezension ist im Rahmen des Projekts „SCENEN::NOTIZ“ in Kooperation mit der Jugendpresse Sachsen entstanden und wurde von Anna Schlote verfasst.