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Man isst was man ist: „Angefressen“

Eine überdimensionale weiße Tafel und ein Kühlschrank dominieren die Bühne und setzen das Thema der Aufführung: Essen begleitet uns, tagein tagaus, ohne Essen könnten wir nicht überleben. Wir alle müssen uns mit der täglichen Nahrungsaufnahme beschäftigen, wir zelebrieren sie, erledigen sie auf die Schnelle im Terminstress oder betrachten sie als lästigen Automatismus.

 

Ein Platz in der Nahrungskette

Die SpielerInnen kämpfen darum, an der langen Tafel sitzen zu können, nicht für jeden wird Platz sein. Nach und nach kehrt Ruhe ein, nur am Ende des Tisches bleibt ein Stuhl frei. Dieser wird von einer im eleganten Kostüm gekleideten Dame eingenommen, deren resolutes Benehmen sie als Haupt der bunten Tischgemeinschaft kennzeichnet. Die Außenstehenden, nun als flinke Kellner, beeilen sich, Fließbanddelikatessen zu servieren, die digital auf die Tafel, die hier gleichzeitig als Leinwand dient, projiziert werden.

Chorisch werden das persönliche Essverhalten wie auch neueste Trends der Nahrungsmittelbranche thematisiert. Auch skurrile Phänomene wie Plazentophagie (das Verzehren des Mutterkuchens nach der Geburt) oder Kannibalismus werden beleuchtet.

 

Essen bedeutet für jeden etwas Anderes; die Nahrungsaufnahme ist immer mit gesellschaftlicher Konvention verbunden und befindet sich im steten Wandel. Überfluss und Mangel, Gier, Lustbefriedigung und Brutalität der Nahrungsbeschaffung werden durch die DarstellerInnen in starker bildhafter und überzeugender Form eindrücklich gemacht. Zwei Spielerinnen, eingewickelt in Plastikfolie, liegen wie Fische im Fangnetz zu den Füßen der Anderen, die mit großem Appetit ausführen, wie sie die beiden – angstvoll und widerwillig angesichts des drohenden Verzehrs – verspeisen werden.

 

Lust und Last der Nahrungsaufnahme

Wir riechen, sehen, tasten und schmecken es, Essen ist Quell von Freude und großem Genuss. Doch, so zeigt eine Szene, in der die SpielerInnen einem Gurken-Exzess frönen, ist es auch Anlass zu Schamgefühlen und gesellschaftlicher Ausgrenzung. In der heutigen Zeit konsumiert man mal schnell nebenbei etwas mit starrem Blick auf das Smartphone und ist sich seiner Umwelt ganz und gar ungewiss. Essen ist Bedingung des menschlichen Daseins, doch ist es auch noch prägend für das Zwischenmenschliche?

 

Aufgefressen?!

Schließlich dringen wilde Tiergeräusche aus dem Kühlschrank und werfen die Frage auf, wie sehr dem Menschen Nahrung heute nur noch als zigfach, verarbeitete Ware bekannt ist, und wie vergessen und fern die Pflanze an sich – oder eben das Tier – ist. Doch die gesellschaftliche Ordnung, ja die Zivilisation selbst, ist fragil. Sturmgeplagt verschlingt sich die Tafel zum Schluss selbst und man merkt: (Ess-) Kulturen kommen und gehen, doch die Pflanze, die Natur, sie bleibt.

Das offene Ende lässt darauf hoffen, dass wir uns auf einen bewussteren, ethisch verträglichen Umgang mit Lebensmittel besinnen könnten, ohne uns vorher selbst zu verschlingen.

 

 

Lea Matika