Ich bin Mariam und war vom 2. September bis 18. Oktober 2024 Hospitantin am Schauspiel Leipzig. Ich bin 23 Jahre alt, komme aus Ägypten und habe Germanistik an der Al‐Azhar Universität studiert. Obwohl ich Theater nicht studiert habe, habe ich in meiner Stadt verschiedene Theaterstücke an Bildungseinrichtungen aufgeführt, da Kunst und Theater schon immer ein großes Interesse von mir waren. Schon lange träumte ich davon, nach Deutschland zu reisen, und als ich vom kulturweit‐Programm erfuhr, das verschiedene Möglichkeiten für Frauen aus dem Nahen Osten bietet (darunter auch im Theater), habe ich mich sofort beworben.
Für sechs Wochen habe ich eine Hospitation am Schauspiel Leipzig in der Theaterpädagogik gemacht. Zunächst hatte ich einige Schwierigkeiten, die Theaterstücke zu verstehen. Es lag nicht nur an der deutschen Sprache, mit der ich manchmal Probleme hatte, sondern auch an der einzigartigen Art und Weise, wie die Stücke präsentiert wurden.
Das, was ich hier gesehen habe, ist anders als das, was ich bisher kenne. Es beschränkt sich nicht nur darauf, traditionelle Geschichten so zu erzählen, wie sie sind, sondern präsentiert sie mit einer künstlerischen Vision, die Zuschauende zum Nachdenken und Fragen anregt. Zum Beispiel in der Bühnenadaption von Pia Richter von „Romeo und Julia“ nach Shakespeare: darin gab es sieben Schauspieler:innen und jede:r von ihnen spielte sowohl die Rolle von Romeo als auch die von Julia sowie weitere Charaktere. Das fand ich spannend und ich würde es gerne noch einmal sehen.
Eine der Erfahrungen in meiner Hospitation waren die Workshops mit Jugendlichen in verschiedenen Schulen. Dabei bereiteten die Theaterpädagoginnen die Schüler:innen auf das Theaterstück mit Aktivitäten wie Standbild und Fragen in einer Soziometrie vor, was ihnen half, die Details klarer zu verstehen. In einem Workshop zur Inszenierung von „Romeo und Julia“ gab es zum Beispiel nach dem Warm‐up Spiele wie „Hi‐Ha‐Ho“, Übungen, die sich auf das Thema des Stücks, wie z.B. die Idee der ewigen Liebe, bezogen. Es folgten Diskussionen über die Antworten, bei denen die Schüler:innen ihre eigenen Vorstellungen von Liebe und Beziehungen hinterfragen und analysieren konnten.
Was ich außerdem interessant fand, waren die Spielclubs. Ich habe die Spielclubs „#noname“ und „Die Spielfreudigen“ besucht. Die Theaterpädagoginnen leiten verschiedenen Übungen in den Clubs an, um die Interessen der Teilnehmer:innen kennenzulernen. Darauf basierend werden weitere Übungen für die nächsten Proben gestaltet. Das hat mir wirklich sehr gefallen und ich denke darüber nach, diese Erfahrung in meinem Land zu vermitteln.
Ich habe außerdem einige Proben von Theaterstücken gesehen. Schauspieler:innen bei der Vorbereitung auf ein Stück zu beobachten und zu sehen, wie das Script auf der Bühne zum Leben erweckt wird, war besonders spannend für mich. Besonders die Proben des Familienstückes „Andersens Märchen“ interessierten mich, da ich von Anfang an daran gearbeitet habe. Ich habe das Stück gelesen und jede Figur genau untersucht, um herauszufinden, aus welcher Geschichte sie stammt. Als ich dann die Probe der Schauspieler:innen sah, wie sie die Charaktere zum Leben erweckten und ihre Rollen interpretierten, war es faszinierend, wie all das, was ich recherchiert hatte, auf der Bühne Gestalt annahm.
Die gesamte Hospitation in der Theaterpädagogik war abwechslungsreich und schön, nicht nur wegen der gesammelten Erfahrungen, sondern auch dank des Teams, mit dem ich gearbeitet habe. Das Team war hilfsbereit und half mir, die pädagogischen Aspekte der Theaterarbeit zu erlernen und unterstützte mich auch im Alltag seit meiner Ankunft in Deutschland.
Meine Zeit in Deutschland ist noch nicht zu Ende. In den nächsten Wochen werde ich in der Residenz des Schauspiel Leipzig weiterarbeiten und die Produktion „Soft War“ begleiten.