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Immer das gleiche Geräusch

Der sanfte Anschlag der Klaviertastatur, ganz zart. Orientalische Motive. Schläge gehen durch Mark und Bein, Stechen. Vogelgezwitscher. Die wiederholt gespielte Aufnahme einer vorsichtigen Stimme, die sich noch lange danach im Kopf dreht: „Mutti, schläfst du schon? Ich wollte dir Hallo sagen …“.

 

Der kleine Mensch, der unter der Last des Kapitalismus einknickt, verliert alles, was er von Herzen liebte — sein Dorf mit der vertrauten Landschaft, das fast schon ausgestorben ist (was der Mechanisierung und folglich dem Mangel an Arbeitsplätzen zu verdanken ist), seine Frau, die sich zuerst kaum mehr bewegen konnte und danach entschlafen ist — sowie seine Kräfte. Er mag das nicht zugeben, er erfindet Entschlossenheit, spielt den perfekten Mann, Liebhaber, Freund oder Revolutionär. Der Schlüsselbegriff „Wertschöpfung“, den er für die wachsende Bedeutung der Städte und die Vernachlässigung der Dörfer benutzt, lässt ihm keine Ruhe. Die Enttäuschung in der Weltordnung — damit wird man nicht solidarisch. Sinnloser Hass-Beruf als Versicherungsberater, das zerreißende Gefühl, dass die göttliche Kreation — Arme, Beine, Muskeln, Kopf — irgendwelchen anderweitigen Zielen dienen soll.

 

Aber

                                               er ist schon in diese stinkende (auf jede erdenkliche Art) Routine

                                                                                                                                                                                                so eingewachsen.

 

 „Scheinbar kann man sich an etwas gewöhnen und irgendwann vergessen, dass es da ist, täglich und die ganze Zeit.“ 

 

So hat sich der kleine Mensch daran gewöhnt, dass er von dort nicht wegziehen kann. Aus all dem entsteht der Protest. Er irrt sich, lebt in ausgedachten vergangenen Welten, denn die Realität kann ihn nicht mehr befriedigen, und lässt die Infantilität angreifen. „Wenn man jemanden erschießen sollte, dann den Staat.“ Der Versicherungsvertreter und der Polizist meinen, mit dem dem Innenminister gesendeten Plastik-Sturmgewehr G36 könnten sie etwas verändern. Doch der Versicherungsvertreter braucht keine Unterstützung, er schafft das auch alleine.

 

Seine Tochter versucht vergeblich, diese Menschen zu verstehen, ihre Gedanken, ihr Verhalten, ihre Rückwärtsgewandtheit, ihre Passivität, ihren Widerstand. Auch wenn sie die Verantwortung für diesen Ort und diese Menschen spürt, stört es sie nicht, aus dem stürmischen Außen einzubrechen und dem naiven jungen Mann in den Rücken zu fallen. Dabei findet sich eine biblische Metaphorik in der Bestrafung der Neugier, wenn der Lieferant in das Paket — die verbotene Frucht — reinschaut und danach verraten wird.

 

Und überhaupt durchdringt reine Symbolik das ganze Stück — von der Marx-Spardose, in deren Kopf eine Münze fürs Bier fällt, über gehacktes Fleisch, das mit den Händen durchmassiert wird, bis hin zum roten Faden — der Rose, die in ihrem Blühen das Leben und mit ihrem schwarzen Welken den Tod versinnbildlicht.

 

Die Inszenierung streift thematisch zum einen Familien- und Liebesbeziehungen, zum anderen die Last der Pflege, Fremdgehen, Empörung über den Staat, Konkurrenz zwischen dem Dorf und der Stadt, Nachlässigkeit, Gemeinheit. Zu einem Werk verschmelzend wirken die Themen mit jeder hypnotischen Wiederholung ins Bewusstsein ein. Diesen Effekt endloser Gedankenschleifen fördert auch die sich immer drehende Bühne.

 

Die unerwiderte Zuwendung, die keine Reaktion hervorruft, erinnert mich an den Song „Jeanny“ von Falco:

 

Steh auf, bitte, du wirst ganz nass …

Wer hat verloren? Du dich?

Ich mich? Oder, oder wir uns?

Du brauchst mich doch, hmh?

 

Zu guter Letzt.

Filmgerechte Aufnahmen,

Abtrennung der Stimme und des Bildes,

allegorische, nur angedeutete Illustration der Handlung,

starre Blicke, maschinenartige künstliche Intonation, ins Nichts gerichtet —

das Ganze wird zum Geräusch in den Ohren, das noch eine Weile bleibt. 


Mariia Denisova versucht nach dem faszinierenden Theaterstück, selbst mal zum Spielen mit den Buchstaben, Silben und Tropen zu greifen. Außerdem bewundert sie immens danach Andeutungen der Kunst im Alltag.